Mittwoch, 2. Februar 2011

Kung Fu Kaffee

Mein Stuhl ist unbequem, der Bildschirm summt, die Netzverbindung ist hoffnungslos überlastet. Die Achseln stinken und der Rücken tut weh. Es ist zwei Uhr zweiunddreissig nachts und mein Kaffee ist kalt. Es ist wieder eine dieser Nächte, eine dieser gottverdammten Nächte in denen mein Kopf voller Unsinn seinen Schliessmuskel vergisst und meinen Geist mit Logikhemmender Diarrhoe verschleimt.
Eigentlich sollte ich arbeiten, das leere Blatt Papier -ursprünglich für das Characterdesign eines Comicprojektes vorgesehen- starrt mich vorwurfsvoll und irgendwie ziemlich eindringlich an. Draussen ist es so kalt, das sogar der Schnee besseres zu tun hat als sich faul auf Süddeutschland zu fläzen. Schlafen kann ich nicht, in einem aller Logik entfremdeten Einfall meinte ich vor fünf Stunden eine Kanne feinsten italienischen Mokka zu trinken (Danke Gehirn!).

Ich schaue mir KungFu-Filme aus den siebzigern an und versuche nicht wahnsinnig zu werden. Sie nennen es: "die weiche Feder bezwingt den Berg aus Stahl". Ich nenne es: "AAAAAAAAAHHHHHHHHhhhhhhhh!!!!" Ein bisschen Buddah und Frieden könnten mir vielleicht gut tun.
Nach vier Filmen und gefühlten 20 Stunden mit einem toten Bruce Lee und meinem noch toteren Verstand beschliesse ich, lieber nochmal eine Kanne Mokka (mein guter, guter Freund) zu trinken und am kommenden Abend mit Herzrasen -aber friedlich- einfach zu explodieren und mit Bruce Lee im gelben Jumpsuit im Kung Fu-Himmel Ziegel zu zerdeppern und Chi aus den Handflächen zu ballern.

Irgendwann nachmittags wache ich dann sabbernd und mit schmerzenden Wirbeln über meinem Schreibtisch auf. Von meinem Zeichenkarton schreit mir ein Bruce ein energisches "WHHHUUUUUÖÖÖÖÖÖÖAHHH!" zu. "Scheiße." krächzen ein paar gebeutelte Stimmbänder. Als ich die halbvolle Packung Mokkapulver wegwerfen will, sehe ich das sich ein grüner feiner Schimmelflaum auf dem Pulver gebildet hat. Irgendwie fühle ich mich komisch.

Mittwoch, 24. März 2010

Ein Tag. (Teil 3)

Ich bin cool. Zumindest rede ich mir das ein, als ich mit Sonnenbrille den Supermarkt betrete. Oh wie ich meine dunklen Gläser liebe. Hier drinnen ist alles künstlich beleuchtet, für mich ein guter Grund die Brille aufzubehalten. Auf der Liste von Dingen die ich abgrundtief verabscheue, steht künstliches Licht ziemlich weit oben. Ich habe empfindliche und meistens sehr müde Augen und dieses eklige, kalt-blaue und viel zu helle Konsum-Licht bringt mich fast zum heulen. Mein Stirn liegt in Falten, ich kneife die Augen zusammen und in meinem Gesicht macht sich ein gestresster, verkrampfter Ausdruck breit. Ich stehe am Kühlregal und will mir den billigsten Joghurt herausnehmen als mir etwas auffällt, das da nicht hingehört. Eine Tüte mit mit dem Logo eines großen Buchhandels in der Nähe. Durch das halb-transparente Plastik erkenne ich das Cover und den Titel des Buches. Es ist ein Buch, vor dem ich mich bisher erfolgreich drücken konnte, es geht um Vampire und Werwölfe und 17-jährige Mädchen. In der Tüte liegt die Rechnung, jemand muss sie hier vergessen haben. Mit einem Funken Hoffnung (oder ist es Verzweiflung) schaue mich nach jemandem um, dem die Tüte möglicherweise gehören könnte, entdecke aber niemanden. Seufzend schaue ich das Buch an, wie es so daliegt, in der Tüte mitten im Kühlregal, zwischen Vanillepudding und Harzer-Käse. Im Geiste blicke ich fragend zum Himmel. „Ist das dein Ernst??“
Abermals seufzend nehme ich die Buchtüte und stopfe sie in den Einkaufskorb, zusammen mit dem Joghurt und einem Becher Cappuccino. Ich bezahle und trete wieder hinaus ins Sonnenlicht.

Das Wetter ist immer noch sonnig und angenehm und ich merke wie die Zerstreutheit des Vormittags einer angenehmen Leichtigkeit weicht. In der Nähe des Supermarktes setze ich mich auf eine Bank um meinen Kaffee zu geniessen und nehme das Buch aus der Tasche. Das berühmt berüchtigte Buch. Wenn man nicht weiblich, 15 und Hormongeplagt ist kann man es nur lieben oder hassen. Etwas dazwischen gibt es nicht. Vampire, Werwölfe... Ich verstehe nicht warum mystische Wesen so ausgeschlachtet werden. Aber anscheinend bin ich die einzige, die sich so profane Dinge fragt, wie: „Wie sieht Drachenkot aus?“ „Wenn ein Werwolf in Werwolfform ein Junges bekommt, ist es dann nicht eher ein Wermensch?“ „Kacken Einhörner so wie Pferde?“ Meine zynische Ader hat auf all diese Fragen eine Antwort. Mein untrüglicher Sinn für die hässliche Realität auch. Ja, auch Einhörner kacken mal. Hin und wieder furzen sie sogar rosa Maskottchen für Frühstücks-Cerealien aus.
Zunächst traue ich mich nicht richtig, den Buchdeckel zu heben und zu lesen, aber ich rede mir ein das ich schliesslich weiß was ich zu erwarten habe. Viel habe ich darüber gehört und gelesen, und der Hype um die erst vor kurzem veröffentlichten Filme haben mich bisher erfolgreich davon abgehalten meinen Feind kennenzulernen. Dann sehe ich, das ich die englische Originalfassung in Händen halte, was mich positiv überrascht. Vielleicht lerne ich sogar was dabei. Und wenn es bloss eine Erweiterung meines Englisch-Vokabulars ist. „So schlimm wirds schon nich’ sein“, sage ich mir als ich anfange zu lesen.

Bücher begleiten mich schon mein Leben lang. Sowohl gute wie auch schlechte, Klassiker und zeitgenössische Literatur. Schon als Teenager habe ich meine Liebe für schlechte aber unfreiwillig komische Bücher entdeckt, was sich in späteren Jahren auch auf Filme und das Internet ausgeweitet hat. "Haha, welcher Körperteil is denn bitte eine 'hungernde Männlichkeit'??" Besonders die Klischee-Literatur und populistische Bestseller haben es mir angetan. Manchmal habe ich das Bild eines chaotischen Literaturwissenschaftlers aus den Zwanzigern im Kopf, mit dem ich mich 200-prozentig identifizieren kann. Ich bin eine neuzeitliche Version des Shareware-Geek-Prototypen, vrs. 2.0 von 1928. Meine Kindheit verlief genauso wie man es von einem Bücherwurm erwartet, kaum Freunde und ein soziales Leben so gut wie nicht vorhanden. Meine Misanthropie von heute hat damals ihren Grundstein gelegt bekommen und heute bin ich dankbar dafür. Die Lieblingsbücher meiner Kindheit geistern durch meinen Kopf, jede Menge Fantasy. Ich bin vom Fach. Abermals seufzend blicke ich von der zweiten Seite des Buches auf, von einem heftigen nostalgischen Flashback getrieben. Ich muss mehr lesen, in letzter Zeit viel zu wenig. Mein Schlechtes Gewissen meldet sich, im Geiste schweift mein Blick über mein Bücherregal und ich nehme mir vor wieder mehr Zeit zu investieren. Ich sitze viel zu viel im Internet.

Ein Tag. (Teil 2)

Ich stehe eine gefühlte Stunde vor der Zahnarztpraxis und versinke in Ratlosigkeit und schlechter Laune. In solchen Momenten könnte ich einfach kotzen. Ich will mir am liebsten selber an den Hals fahren für meine Unfähigkeit, den Tag so zu nehmen wie er ist. Mit dem guten Wetter, den Chancen auf ein bisschen Glück und den unendlichen Möglichkeiten die uns die Evolution beschert hat. Lustlos fummle ich in meiner gepunkteten Tasche und inspiziere den Inhalt: Eine Bioholz-Bürste für meine schwarze, kaum zu bändigende Mähne. Ich bin ein Bürst-Junkie. Ohne Bürste in der Tasche fühle ich mich nackt. Den Hausschlüssel, den Geldbeutel mit all den Organspender-Ausweisen, Bibliothekenkarten und dem imaginären Lottogewinn. Eine Packung Taschentücher. In der Gruft in der ich wohne muss es sehr kalt sein denn ich bin immer krank. Ich kann mich nur noch dunkel an gesunde Zeiten erinnern. Ein kleiner Taschenspiegel, der mich Tag für Tag an meine nicht vorhandene Gesundheit und ab und zu an einen Pickel erinnert. Ein Knirps-Regenschirm, für meine ganz persönliche Gewitterwolke die manchmal über meinem Kopf zu regnen scheint. Mein wichtigstes Item zum Überleben ist allerdings ein billiges Notizbuch, für all die Adressen, Ideen und Einkaufslisten an die ich mich sonst niemals erinnern würde. Es hat einiges an Disziplin gekostet meinem phlegmatischen Hintern anzugewöhnen alles sofort aufzuschreiben, aber jetzt könnte ich nicht mehr ohne leben. Wie oft mir dieses Ding schon den Hals gerettet hat!

Gedankenverloren blättere ich darin. So mitten in der Zahnarzteinfahrt, meine Tasche lustlos vor mich auf den Boden geschmissen. Ein paar Passanten gehen vorbei. Eine ältere Dame läuft auf mich zu und wirft mir zwinkernd einen 5-Euro Schein in die Tasche. Überrascht blicke auf, registriere das Geld, sehe ihr ungläubig ins Gesicht: „Eeehhhäääärrrrr...“ Mehr bringe ich nicht heraus. „Das macht nichts, Mädchen, damit sie sich auch mal was nettes leisten können!“ Das hatte ich nicht erwartet. Sie schlurft davon und lässt mich in meiner Ungläubigkeit zurück.
Fassungslos starre ich ihr nach, dann sehe ich an mir herunter. Kein Wunder. Ich muss wirken wie eine verklärte Philosophie-Studentin, die ihre stille Kritik am System damit ausdrückt, indem sie sich mit dem Buch der Weisheit rebellisch und stellvertretend für den Geist, vor einen symbolischen Tempel unserer modernen Konsumgesellschaft für alle Welt zur Schau stellt. Meine sich langsam am Fuß auflösenden Chucks, die zerzausten dunklen Haare, meine zertragene Lieblingsjeans, mein lustlos und nach dem Zufallsprinzip aus dem Schrank gezerrtes Shirt und mein ungeschminktes, krankes Gesicht geben dem alternativen Gesamtkunstwerk den letzten Schliff.
Mal ehrlich, ich muss was gegen diese Augenringe unternehmen. Aber gegen den Horror von tiefblauen Schatten bis in die Kniekehlen ist ausser diversem Marken-Makeup und gesundem Schlaf kein Kraut gewachsen. Mit diesem Gedanken kommt mir eine Geschäftsidee: hässliche Menschen sollten Rabatt auf Marken-Makeup bekommen! Ich könnte diversen Firmen nur mit meinen Augenringen zu stinkendem Reichtum verhelfen.

Ich stehe noch immer mit dem selben belämmerten Gesicht in der Einfahrt, mit meinem Notizbuch in der Hand und meinen Gedanken nachgehend, als mir eine Liste auffällt die ich wohl vergessen haben muss. Eine Einkaufsliste. Eine von der Art die man schreibt, wenn ein paar Dinge zur Neige gehen, aber im Moment kein Geld zur Verfügung hat weil es das Ende des Monats ist. „Käse, Waschmittel, Joghurt, Kosmetiktücher. Hmmm.“ Fortuna hat mich ja soeben mit einer unerwarteten Geldspende gesegnet. Dann soll es wohl so sein. Ich schnappe mir also beherzt meine Tasche und mache mich im Sonnenschein auf den Weg zum nächsten Supermarkt.

Samstag, 20. März 2010

Ein Tag. (Teil 1)

Morgens, 8 Uhr in Deutschland. Muffig suche ich mit verkrusteten Augen etwas konsumierbares in der Küche. Ich finde eine Tasse kalten Kaffee von gestern und bewege mich schlurfend in Richtung Computer, um wie jeden Morgen meine Routinetour durch die Wunderwelt Internet zu machen. E-mails lesen und beantworten, Profile kontrollieren und neue Blogeinträge und Webcomic-Episoden lesen. „Na toll.“ denkt mein noch schlaftrunkenes, wahres Ich, das sich so langsam aus seiner nichts sagenden Schale aus süßem Desinteresse schält. Denn dieses tolle Stück Technik tut, wie so oft, nicht das was ich will.
Die Barren des kleinen Empfangs-Symbol in der Leiste rechts oben auf dem Bildschirm meines sehr teuren Markencomputers aus Kalifornien wollen sich nicht füllen.
Ich hätte es wissen müssen.
Mein Horoskop von gestern hat allen Schützen die an einem bestimmten Tag im Dezember geboren wurden für heute einen schlechten Tag vorhergesagt. Ich muss zugeben das ich so langsam abergläubisch werde.
Ist es kosmisches Schicksal? Göttliche Intervention? Oder einfach nur eine saftige Pechsträhne... Ich sollte aufpassen! Ehe ich mich versehe, sitze ich auf einer Esoterik-Messe und halte Vorträge über die heilende Kraft von Küchenabfällen. Aber soweit wird es nicht kommen, denn ich habe andere Probleme.

„Wie soll ich denn jetzt über all die tollen „Vanessa und Chantall wollen dich kennenlernen“-Spammails amüsieren??“ frage ich mich selbst in dem jämmerlichsten Tonfall den meine innere Stimme hervorbringt, während mich die Fettaugen im kalten Kaffee traurig aus der Tasse anschielen. „Gar nicht.“ sagt der andere Teil meines gerade erwachten Bewusstseins.
Nun gut. Dann eben mal ein Tag ohne Internet. Die Telefongesellschaft wird wohl mal wieder irgendwo an den Leitungen herumschrauben. Meine innere Stimme lacht mich aus, als ich versuche mir zu überlegen was ich heute unternehmen könnte. Ausserdem ertappe ich mich immer wieder dabei, wie ich voller kindlicher Hoffnung den Internet-Browser kontrolliere ob nicht jetzt endlich wieder Empfang da ist. Vergeblich.
Langsam übermannt mich die Langeweile und ich schaue mich verzweifelt nach Unterhaltungsmöglichkeiten im Zimmer um. Mein Blick schweift über zerlesene Bücher, durchgespielte PC-Games, den Rattenstall (den ich gestern schon geputzt habe) und meine Ratten, die friedlich und ausserordentlich langweilig im Häuschen schlafen. Gar nicht so schlecht, wenn man den ganzen Tag schlafen kann. Mir gefällt die Idee, aber in Anbetracht meiner krankhaften Schlaflosigkeit und der bisher erfolgreichen Versuche diese in den Griff zu bekommen, verwerfe ich den Gedanken wieder. Ich packe mein Schweinewürfel-Set aus und beginne meinen eigenen Jahresrekord zu brechen.
14 Punkte. Meine Gedanken versumpfen im Stumpfsinn als mein Telefon klingelt. Freude, jauchzet und frohlocket! Für einen Moment möchte ich zu kitschiger Musik über eine blühende Alpenwiese mit Bergpanorama tanzen.
Die Freude verfliegt, als ich den Grund für den Anruf erfahre: die überaus unangenehm übereifrige Assistentin unseres Familienzahnarztes hat einen Termin auf heute verlegt. Also habe ich entgegen aller negativen Erwartungen an diesem Tag doch einen Grund mich aus meinem viel zu bequemen, blaukarierten Holzfällerhemd zu schälen und an die frische Luft zu gehen. Und sei es auch nur, damit ein sadistisch veranlagter Mediziner mir kaltes Metall in den Mund schieben kann.
Die Tortur dauert nicht lange, mehr Zahnseide und eine andere Zahnbürste werden mir geraten, das übliche. Als ich aus der Praxis trete, trage ich die sprichwörtlichen Arschtrittstiefel. „Das kanns doch nicht gewesen sein!“ Ich bin enttäuscht von diesem Tag, und noch mehr von mir selbst. Der Vormittag geht mit Sonnenschein zu Ende und ich beginne zu grübeln. „Du unkreatives Stück! Mach was!“

Freitag, 5. März 2010

Arbeitsamt.

„Wer permanent nur das schlimmste erwartet, wird hin und wieder positiv überrascht.“

Das einzige was schlimmer ist als ein zynischer Misanthrop ist ein gut gelaunter Misanthrop. Witzig, ausgerechnet heute habe ich einen Termin beim Arbeitsamt. Warum wache ich ausgerechnet heute auf und bin ein Gänseblümchen im Sonnenschein? Ich suche etwas zu essen und kippe nebenher meinen obligatorischen kalten Schwarztee auf Ex runter. Meine Lieblings-Schlabberjeans sieht heute ungewöhnlich vorteilhaft an mir aus. Ich beschliesse dieses Paradox auszutesten und werfe mir ein blau kariertes Holzfällerhemd in Männergröße über. Im Spiegel betrachte ich das Bild einer augenringigen Bohemé im Studentenstil und wundere mich einfach nur noch maßlos. Was passiert hier?
Mit einem kritischen Blick auf die Uhr ziehe ich mir in Rekordgeschwindigkeit meine ungeschnürten Chucks an und renne aus dem Haus. Warum bin ich heute so verdammt gut gelaunt? Nach insgesamt dreieinhalb Stunden Schlaf wundert mich das nur umso mehr. Ein Boxenstop beim Bäcker an der Ecke unterbricht das Gedankenexperiment und mit einem halben Liter Cappuccino mache ich mich wieder auf den Weg.
Manchmal überrascht uns das Leben entgegen aller Erwartungen mit kleinen Dingen über die wir uns (manchmal unfreiwillig) freuen. Sei es ein wenig Sonnenschein nach einem langen, verdammt feuchten und kalten Winter, ein Sandwich mit Bacon oder die Tatsache das die Leute im Bus einen nicht so sehr anstarren wie sonst. Doch sobald die Freude über die nachgelassene Paranoia nachgelassen hat, beginne ich wieder nachzudenken.
Warum hasse ich die Menscheit heute weniger als gestern? Liegt das tatsächlich am guten Wetter, am gutem Kaffee oder eher an der Tatsache, das manche Tage einfach besser laufen als andere? „Guten Morgen Menscheit! How you’re doin’ tonight? Good? Well, then FUCK YOU! Nur damit ihr euch wohl fühlt.“ Ich versuche mir vorzustellen wie ich wohl geworden wäre, wenn ich vor einigen Jahren anstatt zum zynischen Misathropen zum optimistischen Opportunisten geworden wäre. Alles eine Frage der Einstellung! Zumindest laut einigen Leuten die mir mächtig auf die Genitalien fallen.
Ob mein Leben anders verlaufen wäre oder ob es zumindest leichter zu ertragen wäre. Mir läuft ein Schauer über den Rücken als ich mich vorm inneren Auge als mässig intelligente, Chanel-Barbie-Queen in einem Büro sitzen sehe. Ich schlürfe den Milchschaum leer und komme zu dem Schluss, das es eigentlich gar nicht schlecht ist, sich in einer Wolke aus Ironie, Sarkasmus und Zynismus zu verstecken; und das ich die dunkle Wolke einer Glitzerblase aus Care-Bear-Innereien, Sonnenschein und Lollipops in jedem Fall vorziehen würde. Und der Kaffee ist heute wirklich verdammt gut. Und dann merke ich auf halber Strecke des Wegs das ich das wichtige Schriftstück fürs Arbeitsamt vergessen habe.
Der Mensch ist kein Eisklotz und selbst Misanthropen haben manchmal ihre fünf Minuten. Das große Dilemma der Misanthropie ist, das man zwangsläufig alle Menschen nicht leiden kann und das schliesst die eigene Person mit ein. Ob sich das nun in zwanghaftem Selbsthass oder einfach nur schlicht im zwanghaften Nagelkauen/Pickel ausdrücken/behindern eines Saftpressenfachangestellten in Ausübung seiner Pflicht äussert, ist in diesem Fall unwichtig. Es ist ein Merkmal das fast alle Misanthropen dieser Welt miteinander verbindet. Neben den Augenringen. Und vielleicht die Koffein-Tablettensucht.
Lustigerweise ändert dieser Umstand nichts an meiner morgendlichen „Ist doch alles halb so schlimm“-Laune. Was mich mässig irritiert.
Mal sehn was das Tageshoroskop einer mehr oder minder bekannten Dame zur Situation zu sagen hat:

„In den letzten Tagen machte sich Unsicherheit bei Ihnen breit. Jemand hat Sie auf neue Ideen gebracht, die Ihnen nun durch den Kopf gehen. Es fällt Ihnen besonders schwer ein eingefahrenes Denkmuster aufzugeben und möglicherweise in neue Bahnen einzulenken. Alte Denkmuster sollten jedoch gerade jetzt in einer Umbruchsphase über Bord geworfen werden. Der psychische Stress tut auch Ihrem Körper nichts Gutes, mit der Zeit merken Sie die Beanspruchung. Hindernisse sind in diesem Zustand kaum noch von alleine zu bewältigen.“

Neat. Wenn ich an sowas wie astrologische Vorsehung glauben würde, wäre ich direkt beiendruckt. Das kosmische Schicksal meint es gut mit mir, und ich komme dank einem lokalen Taxi-Unternehmen nur 10 min. zu spät.

Donnerstag, 18. Februar 2010

Montage.

Was zur Hölle glotzt sie mich so an?
Mit ihren platinblond gefärbten Haaren, ihrem pinken Mantel und ihren 10 kg Make up sieht sie ja auch nicht gerade besser aus als ich in meinem morgendlichen Moorleichen-Look.
Und die Oma da, die schaut genauso. Ich höre Musik, na und? So gehört sich das nämlich, wenn man jeden Morgen mit einer Horde gaffender Leute Zug fährt, so wie ich.
Oder hab ich 'nen Keks auf dem Kopf?
Sehe ich heute besonders verpennt aus? Muss man ernsthaft Angst haben, dass ich eine Leiche bin, die aus dem Totenreich wieder auferstanden ist?
Ich werfe einen verstohlenen Blick in das Zugfenster, das mein bezauberndes Antlitz reflektiert, weil es draußen noch dunkel ist.
Augenringe, bekräftigt durch meinen schwarzen Kajal ums Auge. Passt. Blass, um nicht zu sagen, totenbleich, und aufgedunsen. Jawohl.
Matschverschmierte Stiefel (höchstwahrscheinlich von dem Grab, aus dem ich gekrochen bin). Check. Ich habe eindeutig etwas Leichenmäßiges an mir. Aber so sehe ich eigentlich immer aus, so früh morgens. Die Leute sollten sich inzwischen daran gewöhnt haben.
Warum scheint das anderen Leuten eigentlich nicht so zu gehen? Sie sehen morgens aus wie abends, sie schauen höchstens etwas müde aus der Wäsche, morgens, weil sie noch müde sind, und abends, weil sie wieder müde sind von der Arbeit oder der Schule oder wo auch immer die Reise hingeht.
Aber blass und Augenringe? - Fehlanzeige.
Oder stimmt es, dass man diese ganzen Sachen wie Pickel, fahle Haut, fettige Haare, (Liste unendlich erweiterbar) - an sich selbst besonders stark sieht?

Nein, ich glaube immer noch daran, dass andere Menschen morgens mindestens (!!) eine Stunde im Bad verbringen, bevor sie das Haus verlassen, was ich von mir nicht behaupten kann.

Bei mir läuft das so:
Sobald mein Wecker klingelt, bekommt er erst mal einen Guten-Morgen-Gruß von meiner Faust zu spüren. Hab ich den richtigen Knopf, die Schlummerfunktion, getroffen, besteht eine etwa dreißigprozentige Chance, dass ich mich beim nächsten Klingeln zehn Minuten später fluchend aus dem Bett wälze und mich ins Badezimmer schleppe.
Häufiger aber bleibe ich bis 15 Minuten bevor der Zug kommt im Bett liegen, um dann wie von der höllischen Tarantel gestochen aus den Federn zu springen, mich in meine Wäsche, meine immer gleiche Jeans und einen wahllos aus dem Schrank gezerrten Pulli zu schmeißen. Im Bad bekomme ich vor dem Spiegel erst mal den Schock fürs Leben, wenn ich sehe, dass es wohl keine tolle Idee war, mit nassen Haaren ins Bett zu gehen, da sie jetzt in alle Richtungen abstehen.
Die Zahnbürste im Mund, schmiere ich mir versehentlich die Wimperntusche über meine halben Augenlider, um gleich darauf ein Todesgefecht mit meiner Haarbürste auszutragen, weil meine Haare einfach ihre über die Nacht eingenommene Position nicht aufgeben wollen. Ich versuche mich darüber hinwegzutrösten, indem ich mir denke, "the Grudge". Einfach so tun als gehört es so, dann ist sogar das hier cool!

Die schwarzumrandeten Augen meines Spiegelbilds schauen mich skeptisch an, als wollten sie sagen: „Das glaubst du doch selber nicht!“, während ich mir, die Haarnadeln zwischen den Zähnen einklemmend, die Haare zusammenbinde.
In der Küche stürze ich einen Schluck kalten Schwarztees von gestern runter, zum Frühstücken ist es natürlich zu spät, ich verfluche meine 14-Loch Original Doctor Marten‘s Stahlkappen, weil sie zum Schnüren eine Zeit in Anspruch nehmen, in der ich mir locker noch eine Portion Vanillepudding aus dem Kühlschrank hätte genehmigen können, damit ich wenigstens etwas im Magen habe.
Aber lieber Stahlkappen als Pudding. Ohne meine Lieblinge gehe ich gar nicht erst aus dem Haus. Ich schultere schnell meinen Rucksack, renne noch mal in mein Zimmer, weil ich meine Kopfhörer vergessen habe, und stürme los, um den Zug noch zu erwischen.

Und jetzt sitze ich hier. Wie fast jeden Morgen.
Immer wieder wundere ich mich, wie viele Leute außer mir mit dem Zug um sieben fahren und vor allem wie frisch sie dabei aussehen.
Wenn ich ankomme bin ich für elf Stunden ein anderer Mensch.
Komischerweise schielt mich keiner dumm an wie hier im Zug. Gut, den meisten unserer Kunden ist es egal ob ich Augenringe habe oder nicht, weil sie sowieso nichts sehen außer Papierkram. Aber auch meine Kollegen haben nicht diesen Blick, diesen seltsamen musternden missbilligenden Morgens-im-Zug-Blick.
Was ist los mit diesen Leuten im Zug?
Haben sie alle einen Sehfehler? Schielen sie? Oder bin ich paranoid und egomanisch veranlagt, dass ich denke, dass mich alle anstarren?
Ich werfe der Oma einen finsteren Blick zu, nach dem Motto: Gleiches mit Gleichem vergelten. Dann ziehe ich meine Mütze tiefer in die Stirn und drehe lauter, wobei es mir egal ist, dass die Leute bald sogar schon den Text mithören können.
In der Hoffnung auf ein Ende dieses Wahnsinns frage ich mich, wann endlich Wochenende ist.
Da geht mir ein Licht auf.

Ich weiß, warum ich besonders blass bin, warum ich fast den Zug verpasst habe, warum die Leute mich anstarren, ich weiß ALLES.
Das gesamte Universum folgt heute anderen Regeln, und das aus einem einzigen Grund:

Es ist Montag. Montage sind keine Tage wie alle anderen. Montags ist alles doppelt so schlimm. Montags werden die meisten Leute krankgeschrieben, die meisten Selbstmorde begangen, die meisten Kriege angezettelt.
Oh Gott, es ist Montag. Ich in so müde, dass ich sogar das vergessen habe.Oder aber dieser Fakt wurde von meinen donnerlauten Sennheiser HD 435-Kopfhörern aus meinem Hirn gepustet.

Montage sind die Tage, an denen ich als Kind morgens ein Thermometer an die Kerzenflamme gehalten habe, um meiner Mutter daraufhin das Gerät unter die Nase zu halten und zu verkünden, ich könne nicht zur Schule mit 52 Grad Fieber.
Oder an denen ich in meiner Ausbildungszeit um fünf Uhr morgens vom Wecker geweckt wurde, diesen ausgeschaltet habe und mit dem Gedanken ‚Nur noch fünf Minuten!‘ geradewegs nochmals eingeschlummert bin. Um mittags um 12 wieder aufzuwachen. Montage sind die Tage, an denen man als Urmensch wieder von Null anfängt.
Vielleicht sind sie deshalb so anstrengend, weil man an nur einem Vormittag die gesamte Evolutionsgeschichte durchmachen muss.

Morgens beim ersten Klogang noch der Orang-Utan mit auf dem Boden schleifenden Armen, mittags bei der Arbeit wieder der korrekte Businessmanager im Anzug. Oder in meinem Fall, die ackernde Pixel- und Vektorensklavin
Während ich über solch heiklen Themen brüte, kommt der Zug an. Endlich aussteigen aus diesem Käfig gaffender Primaten, wenn wir schon bei der Evolution sind.
Montage lassen den kleinen Misanthropen in mir aufkeimen. Danke Darwin!

Beim Bäcker an der Ecke hole ich mir eine Brezel und Kaffee. Aus dem Radio schallt „ The Weekend“ von Michael Gray, und ich frage mich mit hochgezogenen Augenbrauen, welche Radiostation diesen Titel Montagmorgens spielt. Verarsch FM? Ein ironisches Augenzwinkern an die arbeitende Bevölkerung? Wenn heute nicht Montag wäre, würde ich das direkt witzig finden.

I can‘t wait for the weekend to begin...