Mittwoch, 24. März 2010

Ein Tag. (Teil 2)

Ich stehe eine gefühlte Stunde vor der Zahnarztpraxis und versinke in Ratlosigkeit und schlechter Laune. In solchen Momenten könnte ich einfach kotzen. Ich will mir am liebsten selber an den Hals fahren für meine Unfähigkeit, den Tag so zu nehmen wie er ist. Mit dem guten Wetter, den Chancen auf ein bisschen Glück und den unendlichen Möglichkeiten die uns die Evolution beschert hat. Lustlos fummle ich in meiner gepunkteten Tasche und inspiziere den Inhalt: Eine Bioholz-Bürste für meine schwarze, kaum zu bändigende Mähne. Ich bin ein Bürst-Junkie. Ohne Bürste in der Tasche fühle ich mich nackt. Den Hausschlüssel, den Geldbeutel mit all den Organspender-Ausweisen, Bibliothekenkarten und dem imaginären Lottogewinn. Eine Packung Taschentücher. In der Gruft in der ich wohne muss es sehr kalt sein denn ich bin immer krank. Ich kann mich nur noch dunkel an gesunde Zeiten erinnern. Ein kleiner Taschenspiegel, der mich Tag für Tag an meine nicht vorhandene Gesundheit und ab und zu an einen Pickel erinnert. Ein Knirps-Regenschirm, für meine ganz persönliche Gewitterwolke die manchmal über meinem Kopf zu regnen scheint. Mein wichtigstes Item zum Überleben ist allerdings ein billiges Notizbuch, für all die Adressen, Ideen und Einkaufslisten an die ich mich sonst niemals erinnern würde. Es hat einiges an Disziplin gekostet meinem phlegmatischen Hintern anzugewöhnen alles sofort aufzuschreiben, aber jetzt könnte ich nicht mehr ohne leben. Wie oft mir dieses Ding schon den Hals gerettet hat!

Gedankenverloren blättere ich darin. So mitten in der Zahnarzteinfahrt, meine Tasche lustlos vor mich auf den Boden geschmissen. Ein paar Passanten gehen vorbei. Eine ältere Dame läuft auf mich zu und wirft mir zwinkernd einen 5-Euro Schein in die Tasche. Überrascht blicke auf, registriere das Geld, sehe ihr ungläubig ins Gesicht: „Eeehhhäääärrrrr...“ Mehr bringe ich nicht heraus. „Das macht nichts, Mädchen, damit sie sich auch mal was nettes leisten können!“ Das hatte ich nicht erwartet. Sie schlurft davon und lässt mich in meiner Ungläubigkeit zurück.
Fassungslos starre ich ihr nach, dann sehe ich an mir herunter. Kein Wunder. Ich muss wirken wie eine verklärte Philosophie-Studentin, die ihre stille Kritik am System damit ausdrückt, indem sie sich mit dem Buch der Weisheit rebellisch und stellvertretend für den Geist, vor einen symbolischen Tempel unserer modernen Konsumgesellschaft für alle Welt zur Schau stellt. Meine sich langsam am Fuß auflösenden Chucks, die zerzausten dunklen Haare, meine zertragene Lieblingsjeans, mein lustlos und nach dem Zufallsprinzip aus dem Schrank gezerrtes Shirt und mein ungeschminktes, krankes Gesicht geben dem alternativen Gesamtkunstwerk den letzten Schliff.
Mal ehrlich, ich muss was gegen diese Augenringe unternehmen. Aber gegen den Horror von tiefblauen Schatten bis in die Kniekehlen ist ausser diversem Marken-Makeup und gesundem Schlaf kein Kraut gewachsen. Mit diesem Gedanken kommt mir eine Geschäftsidee: hässliche Menschen sollten Rabatt auf Marken-Makeup bekommen! Ich könnte diversen Firmen nur mit meinen Augenringen zu stinkendem Reichtum verhelfen.

Ich stehe noch immer mit dem selben belämmerten Gesicht in der Einfahrt, mit meinem Notizbuch in der Hand und meinen Gedanken nachgehend, als mir eine Liste auffällt die ich wohl vergessen haben muss. Eine Einkaufsliste. Eine von der Art die man schreibt, wenn ein paar Dinge zur Neige gehen, aber im Moment kein Geld zur Verfügung hat weil es das Ende des Monats ist. „Käse, Waschmittel, Joghurt, Kosmetiktücher. Hmmm.“ Fortuna hat mich ja soeben mit einer unerwarteten Geldspende gesegnet. Dann soll es wohl so sein. Ich schnappe mir also beherzt meine Tasche und mache mich im Sonnenschein auf den Weg zum nächsten Supermarkt.

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